Den
Geschichtsunterricht während meiner Schulzeit empfand
ich oft nervig und schlicht uninteressant. Lehrer bombardierten
uns im Telegrammstil mit Fakten, Namen und Daten, die
ich mir nicht merken konnte. Auch ein Blick ins Geschichtsbuch
steigerte nicht mein Interesse. Und dann wurden auch
noch mündlich und in Klassenarbeiten Details abgefragt
und bewertet. Entsetzlich.
Doch
es gab einen Lehrer, der den Geschichtsunterricht völlig
anders gestaltete. Oliver Meyer, wir Schüler nannten
ihn Olli, setzte sich auf das Lehrerpult und erzählte,
was geschehen war. Das tat er so unterhaltsam, dass
alle aufmerksam zuhörten. Er berichtete mit ruhiger
Stimme auf eine Art und Weise, als wäre er selbst
dabei gewesen. Ein Bericht aus erster Hand, sozusagen.
Dabei spielte es keine Rolle, ob er von den Germanen,
den Römern oder dem Dritten Reich erzählte.
Er wusste unglaublich viele Details über die historischen
Ereignisse und brauchte kein Manuskript. In der Klasse
war es stets mucksmäuschenstill, niemand schlief,
alle 40 Schüler lauschten gespannt. Ich kann mich
nur an eine Unterrichtsstunde erinnern, in der Olli
unabsichtlich gestört wurde. Über das Ereignis
berichte ich in meinem Buch »Ermunterung ist steuerfrei«¹.
Der Geschichtsunterricht mit Lehrer Oliver Meyer war
stets etwas Besonderes. Offenkundig wusste er um die
Magie von Geschichten und fesselte unreife Jungen im
Geschichtsunterricht damit.
Auch
Jesus Christus kannte die Bedeutung von Geschichten.
Er verpackte seine Botschaften in Erzählungen,
die wir oft Gleichnisse nennen. So lehrte Jesus beispielsweise:
Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Ein Zuhörer fragte nach: Wer ist mein Nächster?
Daraufhin erzählte Jesus die Geschichte vom barmherzigen
Samariter, der einem Mann half, nachdem er von Räubern
überfallen, ausgeplündert und halbtot liegengelassen
worden war².
Bei
einer anderen Gelegenheit lehrte Jesus, dass man auch
jene Menschen lieben soll, die es offenbar nicht verdient
haben, weil sie gute Ratschläge in den Wind schlugen
und egoistisch auf unmoralischen Wegen wandelten. Diese
Lektion steckt in der Geschichte vom verlorenen Sohn.
Einer von zwei Söhnen verlangte vom Vater, sein
Erbe vorzeitig ausgezahlt zu bekommen. Der Vater gab
ihm das Geld, der Sohn zog hinaus in die Welt und verprasste
alles. Nachdem er nichts mehr besaß, kehrte er
reumütig und heruntergekommen zum Vater zurück.
Jener nahm ihn freudig auf und richtete für den
Heimkehrer ein Fest aus. Der daheimgebliebene Bruder
hatte jedoch ein Problem mit dem Verhalten des Vaters.
Die ausführliche Geschichte steht in der Bibel³.
Diese
und viele andere Gleichnisse Jesu sitzen tief im Gedächtnis
der Christen. Die Geschichten veranschaulichen Lehren
und Gebote, die haften bleiben. Ebenso stecken in vielen
Märchen weise Botschaften. Wir lieben Erzählungen.
Die Medienindustrie lebt davon, uns täglich neue
Storys zu präsentieren. Und nicht selten bemühen
sich Zuschauerinnen und Zuschauer, den Originalschauplatz
eines eindrucksvollen Berichts zu besuchen. Die Geschichte
und das Erlebnis bleiben dann markant im Gedächtnis.
So
erging es auch mir auf einer Reise, bei der ich gar
nicht geplant hatte, den folgenden Schauplatz zu besuchen.
Im Geschichtsunterricht hatte ich zwar viel über
den Zweiten Weltkrieg gehört. Später sah ich
auch etliche Filme über die Kriegsereignisse. Doch
wenig blieb davon in mir haften. Als ich dann vor Jahren
auf einer Polenreise in Danzig etliche Wegweiser mit
der Aufschrift »Westerplatte« sah, machte
mich das neugierig. Die deutsch klingende Ortsangabe
neben all den Wegweisern in polnischer Sprache sprang
mir ins Auge. Ich fuhr zur Westerplatte, stand ergriffen
vor dem dort aufgestellten Denkmal und las die Informationen.
Erst an jenem Ort wurde mir eindrucksstark bewusst,
was da geschehen war. Deutsche hatten am 1. September
1939 begonnen, das polnische Munitionslager auf der
Halbinsel Westerplatte zu beschießen. Eine kleine
polnische Garnison hielt sieben Tage lang stand. Dieser
Überfall markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Während
theoretische Lehren oft schnell verpuffen, bleiben Geschichten
und Erlebnisse bisweilen beharrlich im Gedächtnis
und prägen intensiv unser Leben.
______________________
¹
Reinhard
Staubach, Ermunterung ist steuerfrei, S.
14 ff
²
NT, Lukas,
10:25-37
³ NT, Lukas,
15:11-32
|