Vor
vielen Jahren reiste ich nach Israel¹, um Land
und Leute kennenzulernen. Eines Tages hielt unser
Bus in einer hügeligen Landschaft zwischen von
Sträuchern umgebenen Feldern. Der Reiseleiter
führte uns ein kurzes Stück auf einen Feldweg
und verkündete dann: »Wir befinden uns
hier im Terebinthental. Hier fand wahrscheinlich der
berühmte Kampf David gegen Goliat statt.«
Die
Geschichte steht in der Bibel². Die Philister
zogen mit ihren Truppen zum Kampf gegen die Israeliten.
Im Terebinthental lagerten sie an gegenüberliegenden
Bergen. Der Reiseleiter deutete mit ausgestrecktem
Arm auf zwei Hügel, auf denen er vermutete, wo
sich die Truppen damals gelagert haben könnten.
Ich
stellte mir die Situation bildlich vor und sah wie
Goliat mit schweren Schritten in bronzener Rüstung,
einem gewaltigen Schild und blitzendem Schwert ins
Tal marschierte. Er war ein riesiger Kerl, mindestens
doppelt so groß als ich, wenn nicht noch größer.
Er brüllte zu den Israeliten hinüber: »He,
ihr Feiglinge, warum seid ihr hier und traut euch
nicht, uns anzugreifen? Schickt euren besten Mann
zu mir ins Tal. Wenn der mich besiegt geben wir uns
geschlagen. Wenn ich ihn jedoch töte, dann seid
ihr unsere Sklaven und alles was euch gehört,
gehört dann uns. Alles klar! Überlegt es
euch, ihr Memmen. Ihr könnt euch ja nur einen
Gott leisten. Der hat sogar vor mir angst. Ich komm
morgen wieder!«
Vermutlich
gebrauchte Goliat wesentlich ordinärere Kraftausdrücke,
um die israelitischen Kämpfer zu beleidigen.
Die waren vom Truppenaufgebot der Philister eingeschüchtert
und verzweifelt, weil sie keinen Mann in ihren Reihen
hatten, der annähernd so groß und kräftig
war wie Goliat. Da kam der kleine David pfeifend
daher, um seine drei Brüder in der israelischen
Truppe zu besuchen und ihnen frische Verpflegung vom
Vater zu bringen.
»He,
bist du wohl leise«, wurde er von seinen Brüdern
möglicherweise zurechtgewiesen. »Schau
mal da, Goliat. Der will gegen einen von uns kämpfen.
Aber keiner traut sich.«
»Null Problemo«, hätte David vermutlich
in heutiger Sprache geantwortet. »Ich erledige
das für euch.«
»Bist du wahnsinnig, du hast doch gar keine
Kampferfahrung.«
»Den Goliat leg ich mit links um«, erwiderte
David. »Der verhöhnt ja unseren Gott. Solche
Typen kann ich nicht ausstehen. Ihr werdet sehen.
Morgen.«
König
Saul hörte von Davids vorhaben und ließ
ihn kommen: »Du bist zu jung und unerfahren.
Du kannst nicht gegen Goliat antreten.«
David antwortete dem König: »Ich habe die
Schafe meines Vaters gehütet und Bären und
Löwen getötet, die in die Herde eingefallen
waren. Mit der Kraft Gottes kann ich auch jenen Lästerer
besiegen.«
»Okay, der Herr sei mit dir«, stimmte
König Saul schweren Herzens zu. »Hier zieh
meine Rüstung an. Es ist die beste in unserem
Heer. Setzt den bronzenen Helm auf und nimm mein Schwert.«
In nullkommanull Minuten wurde der kleine David in
die Rüstung gesteckt. Er versuchte zu gehen,
kam aber nicht von der Stelle. »Lasst mich sofort
wieder hier raus!«, schimpfte er. Als das geschehen
war, nahm er seinen Stock und suchte fünf glatte
Steine im Bach, die er in seine Hirtentasche steckte.
Mit der Schleuder in der Hand ging er auf Goliat zu.
»Bin
ich denn ein Hund!«, brüllte der Philister
David an, »dass du mit einem Stock zu mir kommst.
Ich verfluche dich im Namen meiner Götter!«
David antwortete ihm, dass er ihn heute töten
und seinen Kopf abschlagen werde. Denn heute solle
alle Welt erkennen, dass Israel einen mächtigen
Gott habe. Er griff in seine Tasche, legte einen Stein
in die Schleuder und traf Goliat an der Stirn, der
tot zu Boden stürzte. Mit Goliats Schwert schlug
David ihm den Kopf ab. Darauf hin floh die Truppe
der Philister. Die Israeliten verfolgten sie, töteten
viele und plünderten deren Lager.
Die
Geschichte wird gerne erzählt, um zu verdeutlichen,
dass nicht immer der am mächtigsten vermutete
als Sieger aus einem Kampf hervorgeht. Wie schon gesagt,
ich war in jenem Tal und schaute mich ein wenig um.
Zur Erinnerung hob ich einen kleinen Stein auf und
steckte ihn in meine Tasche. Mit den Worten. »Hier
ist er«, zeige ich den Anwesenden den Stein.
»Wenn man genau hinschaut, sieht man die winzigen
Einsprenkelungen, die wie getrocknetes Blut aussehen.
Wer weiß, vielleicht ist das der Stein, mit
dem Goliat getötet wurde.« Auf meine Schlussfolgerung
ernte ich gewöhnlich stilles Schmunzeln bis heiteres
Gelächter.
»Aber
nun wird es ernst«, behaupte ich. »Denn
ich habe nicht nur den Stein mitgebracht, sondern
auch eine Schleuder.« (Siehe Foto) Ich zeige
sie den Zuhörern. »Der Händler in
Israel versicherte mir mit ernster Mine«, berichte
ich weiter, »dass David genau so eine Schleuder
verwendete. Und er zeigte mir, wie man damit umgeht.
Das will ich Ihnen nun auch zeigen. Ich bin jetzt
also David. Wer macht den Goliat?« Gespannt
verfolgt das Publikum meine Demonstration.