Immer
wieder entdecke ich auf Flohmärkten Objekte, die
ich noch nie zuvor gesehen habe. Einst erblickte ich
ein Gerät, welches mich neugierig machte. Geheimnisvolle
Röllchen, Hebel und Spiralen steckten in dem Apparat.
Auch nachdem ich ihn von allen Seiten eingehend beäugte,
hatte ich nicht die geringste Ahnung, wozu das Gerät
jemals gedient haben könnte. Ich fragte die Verkäuferin.
»Das
ist eine Dauerwellenmaschine«, war die knappe
Antwort. Und schon wandte sie sich einem Flohmarktbesucher
zu, der eine Porzellanfigur in der Hand schwenkend zu
handeln begann.
Aha,
eine Dauerwellenmaschine¹.
Aber wo war die Öffnung für den Kopf?
Irgendwo musste man in das angerostete Ungetüm
von der Größe eines mittelprächtigen
Wochenendkoffers doch den Kopf stecken. Wie sonst sollte
die Maschine aus platten Kopfhaaren herrliche Dauerwellen
formen? Noch nie im Leben hatte ich mir beim Friseur
Dauerwellen machen lassen, was bei meiner Haarpracht
auch eine echte Herausforderung für jeden Figaro
gewesen wäre. In jedem Salon gab es Hauben, die
über den Kopf gestülpt das feuchte Haar trockneten.
So, oder ähnlich sollte wohl die Dauerwellenmaschine
funktionieren, dachte ich. Vermutlich klappte man den
ominösen Apparat irgendwie auf.
Endlich
hatte sich die Flohmarktverkäuferin mit dem Kunden
über den Preis der angestoßenen Porzellanfigur
geeinigt. Ich fragte sie: »Wo steckt man denn
da den Kopf hinein?« Die Händlerin lachte
kurz auf und begann zu erklären, wie die Dauerwellenmaschine
funktioniert.
Das
Gerät diente dazu, kleine Stifte in der Größe
von etwas zu dick geratenen Zigaretten elektrisch zu
erhitzen. Um die heißen Stifte wurden dann die
Haare gewickelt, wodurch jene ihre aufgelockerte Form
erhielten, die Dauerwelle.
All
mein Wissen, meine Vorstellungskraft und meine Fantasie
hatten mir nicht geholfen zu erkennen, wozu das geheimnisvolle
Gerät einst gebraucht wurde. Erst als ich nachhakte,
erhielt ich eine erhellende Antwort. Ich hätte
mich mit der ersten Antwort zufriedengeben können,
dass es eine Dauerwellenmaschine sei. Doch dann begannen
meine Erfahrungswerte im Oberstübchen zu rotieren
und fragten: Halt stopp, wo ist das Loch für den
Kopf? Ich erwartete in der Dauerwellenmaschine eine
Öffnung wie bei den Trockenhauben. Ein Trugschluss.
Den
gleichen gedanklichen Fehler können wir ebenso
in anderen Bereichen des Lebens machen. Von bereits
Bekanntem ausgehend, glauben wir bei neuen Entdeckungen
deren Anwendung, Funktion, Inhalt oder Form zu kennen.
Im ungünstigsten Fall denken oder sagen wir: Kenne
ich!
Dieses
Verhalten hat Vorteile, denn es hilft uns, sich schneller
im Leben zurechtzufinden und die Menschen und die Dinge,
die uns umgeben einzuordnen. Doch das Urteil, »kenne
ich«, birgt die Gefahr, das Ungewöhnliche
und Neue nicht zu bemerken.
Aus
der Geschichte über die Entdeckung Amerikas wird
berichtet, dass die Ureinwohner die Schiffe nicht sahen²,
mit denen Kolumbus bereits sehr nahe an die Küste
gesegelt war. Nur ein Ureinwohner bemerkte am Horizont
ein merkwürdiges Flimmern. Er schaute immer wieder
hin und plötzlich erkannte er die Schiffe. Er sagte
es den Leuten, die mit ihm waren. Sie sahen zunächst
nichts, doch dann erkannten auch sie die Schiffe.
Schiffe,
wie die Spanier sie zu jener Zeit bauten, waren den
Ureinwohnern Amerikas unbekannt. Was unbekannt ist,
wonach man nicht ausschaut, kann man leicht übersehen.
Mit
den anderen Sinnesorganen verhält es sich entsprechend.
Steigt man beispielsweise in ein Auto, so kann es geschehen,
dass einem die Fahrgeräusche ganz normal vorkommen.
Erst nachdem uns ein Mitfahrer auf ein merkwürdiges
Surren aufmerksam gemacht hat, hören wir das Surren
ebenfalls. Manche Laute und Geräusche hören
wir nicht, wenn wir nicht darauf achten oder darauf
hingewiesen werden.
Wer
offen für Neues ist, wer fragt und sich nicht mit
oberflächlichen Antworten zufriedengibt, der entdeckt
oft Einzigartiges, manchmal sogar eine neue Welt. Es
gibt noch allerlei zu erkunden. Entdeckungen können
ungeahnt beleben und erfreuen. Selbst wenn es sich dabei
um eine antike Dauerwellenmaschine handelt.
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¹
Dauerwellenmaschine,
Beispiel um 1950
²
Ureinwohner sahen Kolumbus' Schiffe nicht. (Columbus-Effekt)
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