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Im Wilden Westen
aus

Einführung: Bernd, der Protagonist meines Romans »Schlummernde Leben«, ist davon überzeugt, dass es keine Seelenwanderung oder Reinkarnation gibt. Doch seine Freundin Martina behauptet, schon mehrmals in verschiedenen Körpern auf der Erde gelebt zu haben. Sie erzählt Bernd von diesen früheren Leben. Im folgenden Auszug berichtet Martina über ihr angebliches Leben im Wilden Westen. Dort sei sie keine Frau gewesen, sondern habe im Körper eines jungen Mannes gesteckt, der John Wild hieß. Er habe sich auf den Weg nach Kalifornien gemacht und sei in den Rocky Mountains von Indianern überfallen worden. Völlig erschöpft habe ihn William Taylor gefunden, der ihn in die Siedlung der Mormonen ins große Salzseetal mitnahm.


„Mein drittes Leben war im Wilden Westen“, begann Martina ihren Bericht über ihre dritte Rückführung. „Meine Erinnerung beginnt im bekannten Fort Laramie, davon hast du sicher auch schon gehört.“ Sie hatte sich mit Bernd an einen Tisch im Schlossimbiss gesetzt.
     „Ich habe keine Ahnung“, fuhr Martina fort, „wie ich nach Fort Laramie gekommen bin. Wieso ich dort war, und was ich dort gemacht habe. Ich war ein junger Mann und hieß John Wild.
     Die Erinnerung beginnt da, als der Mountain Man Bill Crocer im Fort eintraf. Wie saßen abends zusammen, und ich fragte ihn nach den Goldvorkommen in Kalifornien aus. Überall hörte man davon, dass dort Gold gefunden worden sei. Er bestätigte es. Er hatte einen Wagenzug nach Kalifornien geführt und war vor ein paar Wochen wieder zurückgekehrt. Es war im Jahre 1849. Er hatte gehofft, noch einen Wagentreck über die Berge führen zu können. Doch es hatte sich keine Gelegenheit ergeben. Ich mochte den Mountain Man und überredete ihn, mich über die Rocky Mountains nach Kalifornien mitzunehmen ...

Nach dem Überfall der Indianer.

     ... Als ich erwachte, schien mir die Sonne in die Augen, die gerade über einem Berg aufging. Jemand hatte mich aufgerichtet und hielt mir eine Wasserflasche an die Lippen.
     Der Mann war etwa dreißig Jahre alt und hieß William Taylor. Er gab mir zu trinken und zu essen. Ich erholte mich schnell. William Taylor erzählte mir, dass er seit Tagen auf einem Erkundungsritt sei, um bessere Passagen für nachkommende Siedler zu finden. Nun wäre er bereits auf dem Heimweg zum großen Salzseetal. Vor zwei Jahren sei er mit dem ersten Mormonentreck nach Zion gekommen. William Taylor war auch Mormone und nannte die Siedlung im Salzseetal das neue Zion. Er berichtete mir, dass diese Gegend eine einzige Steinwüste sei. Ohne Pferd und Wasser würde ich es nie zu einer Siedlung geschafft haben.
     Wir waren noch fast zwei Tage unterwegs, bis wir das große Becken des Salzseetals vor uns sahen. Außer seinem Reitpferd hatte William Taylor noch zwei Packpferde bei sich. Auf einem der Packpferde war ich stets hinter ihm geritten. Im Fort Laramie hatte man schon davon erzählt, dass die Mormonen irgendwo in den Rocky Mountains siedelten. Aber es hatte mich nicht interessiert. Um so erstaunter war ich nun, bereits den Grundriss einer großen Stadt zu erkennen. Es gab viele Blockhütten. Einige kleine bestanden oft nur aus einem Raum. Es gab aber auch schon stattliche Häuser.
     William Taylor brachte mich zu einer Hütte und lud mich ein, den kommenden Winter bei seiner Familie zu bleiben. Es könne jetzt jeden Tag zu schneien beginnen. Ohne Pferd würde ich dann nicht weit kommen. Ich willigte ein, dass ich so lange bei ihm arbeiten wolle, bis ich ein Pferd bezahlen könne. Dann würde ich sofort weiter reiten. Doch ich glaube, ich habe Kalifornien nie gesehen.
     In der Hütte lebte William Taylor mit seiner Frau, ihrem kleinen Sohn, knapp ein Jahr alt, und seiner Schwester. Seine Schwester hieß Kristina und war siebzehn Jahre alt. Sie war ein blondes, schlankes Mädchen von kräftiger Gestalt. Kaum kleiner als ich.
     Ich weiß nicht mehr alle Details. Jedenfalls verliebte ich mich in sie. Ihr Bruder machte mir klar, dass seine Schwester nur einen Heiligen der Letzten Tage, wie sich die Mormonen selber nennen, heiraten würde und dass es vor der Ehe keinen Sex gäbe. Ich verbrachte viel Zeit mit Kristina und ließ mich von ihr über den Glauben der Mormonen belehren. Wahrscheinlich waren es diese Belehrungen, vielleicht auch Kristina, jedenfalls gab ich meine Pläne, in Kalifornien nach Gold zu suchen auf. Ich ließ mich taufen und wurde Mitglied der Kirche Jesu Christ der Heiligen der Letzten Tage, wie die Mormonen ihre Kirche nennen. Somit war ich auch ein Heiliger der Letzten Tage.
     Eisiger Wind fegte durchs Tal und Schnee lag überall etliche Zentimer hoch, als ich getauft wurde. In einem kleinen Teich hatte man die Eisdecke aufgebrochen und William Taylor und ich stiegen in das kalte Wasser. Mein Retter war nämlich Priester und berechtigt zu taufen. Bei den Mormonen sind fast alle Männer Priester. Auch ich wurde kurz nach meiner Taufe zum Diakon ordiniert. In weiße Gewänder gekleidet standen wir bis zum Bauchnabel im Wasser und William tauchte mich völlig darin unter, nachdem er ein paar Worte gesagt hatte. Die Luft war kälter als das Wasser. Deshalb empfand ich das Wasser warm.
     Nun, da ich Mormone geworden war, hätte ich Kristina am liebsten gleich geheiratet. Doch sie war erst siebzehn Jahre alt. William meinte, ich solle mindestens bis zum nächsten Sommer warten. Inzwischen könne ich eine Hütte bauen. Doch jetzt im Winter eine Hütte zu bauen, war fast unmöglich. Im Tal gab es kaum Holz. Man musste weit reiten, um ein paar Bäume zu fällen.
     So verbrachte ich den Winter bei den Taylors. Ich glaube auch, dass William mir erst seine Schwester zur Frau geben wollte, wenn er sah, dass ich es mit meinem Glauben als Mormone ernst meinte. Seine Eltern waren auf dem Wagenzug aus dem Osten gestorben. William nahm nun für seine Schwester die Vaterrolle ein.
     Vom Bischof der Mormonen hatte ich ein Stück Land zugewiesen erhalten, das mein Eigen sein sollte. Ich brauchte nichts dafür zu bezahlen. Ich sollte es bebauen und mein Haus darauf errichten. Im Frühjahr würden mir die Brüder der Gemeinde helfen.
     Kaum war der Schnee geschmolzen, als ich mich daran machte, die größten Steine von meinem Grundstück zu entfernen und es umzupflügen. Die Steine trug ich an die Stelle, wo das Haus stehen sollte.
     Da kam eines Tages ein Bote von Brigham Young. Brigham Young war der Prophet und Präsident der Kirche. Der Bote richtete mir aus, dass ich in zwei Tagen zu einem Gespräch zum Präsidenten kommen solle.
     Pünktlich marschierte ich zu seinem Haus. Brigham Young war ein etwas gedrungener, kräftig gebauter Mann. An den Schläfen kräuselte sich graues Haar. Durchdringend sah er mich mit seinen klaren Augen an und schenkte mir seine volle Aufmerksamkeit. Das Gespräch verlief ungefähr folgendermaßen:
     ‚Bruder John, sagte Brigham Young, ich habe gehört, Sie hätten sich gut bei den Taylors eingelebt, nachdem Sie letzten Herbst zu uns gekommen sind. Am letzten Sonntag sollen Sie dann eine gute Ansprache in Ihrer Gemeinde gegeben haben. Worüber haben Sie gesprochen?‘
     Ich berichtete kurz, darüber gesprochen zu haben, dass wir das Wort der Weisheit befolgen sollten. Wort der Weisheit wurde eine Offenbarung genannt, die der Prophet und Gründer der Kirche, Joseph Smith, erhalten hatte. Sie besagte, dass wir uns gesund ernähren sollten. Insbesondere sollten wir nicht rauchen, keinen Alkohol, keinen Bohnenkaffee und keinen Schwarzen Tee trinken. Es gab zu jener Zeit viele Heilige der Letzten Tage, die sich nicht an diese Worte der Weisheit hielten.
     Brigham Young hörte mir aufmerksam zu und informierte mich dann, dass man mich zu einem Ältesten vorgeschlagen habe. Ich war hoch erfreut über diese Mitteilung. Nun würde William Taylor mir sicher ohne zu zögern seine Schwester zur Frau geben. Als Ältester galt man etwas in der Mormonengemeinschaft. Das war ein bedeutendes Amt im Priestertum. Bei vielen Entscheidungen durfte man mitreden. Aber vor allem würde mir dieser Aufstieg den Weg zu Kristina ebnen.
     Brigham Young stellte mir eine ganze Reihe von Frage. Es war eine Art Test, um zu ermitteln, ob ich auch wirklich würdig war, zum Ältesten ordiniert zu werden. Als er damit fertig war, sagte er, dass er keinen Grund sähe, mich nicht zum Ältesten zu ordinieren. Doch dann kam er mit einem Vorschlag heraus, für den ich mich zunächst gar nicht begeistern konnte.
     ‚Im Grunde können wir jeden Bruder hier brauchen‘, sagte der Prophet. ‚Demnächst werden wir mit dem Bau des Tempels beginnen. Aber unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, hier im Salzseetal zu leben und dem Herrn zu dienen. Der Herr hat uns berufen, das Evangelium auf der ganzen Welt zu verkünden und seine Schafe nach Zion zu führen. Der Herr hat Sie, Bruder John Wild, berufen, und ich bin nur sein Mundstück, als Missionar nach Deutschland zu gehen. Ihre Eltern waren Deutsche und wie man mir berichtet hat, beherrschen Sie die deutsche Sprache sehr gut. Sind Sie bereit, die Mission anzutreten?‘
     Ich musste kräftig Schlucken. Als Missionar berufen zu werden, war eine Art Auszeichnung. Doch ich hatte zunächst einmal vorgehabt zu heiraten.
     ‚Ich sehe‘, sagte der Prophet, ‚das überrascht Sie, Bruder Wild. Doch Sie brauchen nicht so bescheiden zu sein. Sie haben so großen Fortschritte gemacht und werden ein guter Missionar sein.‘
     Schüchtern berichtete ich, dass ich vor gehabt hätte, zunächst zu heiraten. Doch das schien der Prophet bereits zu wissen. Ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen. Wenn Kristina die richtige Frau für mich sei, würde sie auf mich warten, sie sei ja noch so jung. Mit ein- oder zweijähriger Erfahrung als Missionar, wäre ich auch viel besser auf meine Rolle als Ehemann und Vater vorbereitet.
     Mit gemischten Gefühlen willigte ich ein, nach Deutschland auf Mission zu gehen.
     ‚Bruder Wild‘, sagte Brigham Young zufrieden, ‚das ist gut. Ich habe auch keine andere Antwort von Ihnen erwartet. Sie sollten sofort daran gehen, Ihre Sachen für die Reise zusammenzustellen. Nehmen Sie nicht zu viel mit, Sie wissen, der Herr sorgt für die Seinen. Das Wichtigste, was Sie mitnehmen müssen, sind einige Ausgaben des Buches Mormon.‘ ...




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Leserstimmen:
"Hallo lieber Reinhard, du hast mir ein sehr spannendes, hoch interessantes Lesewochenende beschert. Meine Theorie und Überzeugung, dass es Reinkarnation gibt, hast du zwar psychologisch und wissenschaftlich sehr gut widerlegt, aber das ist ja das spannende im Leben, für den Glauben gibt es keinen Beweis und auch keine wissenschaftliche Erklärung. Man glaubt es einfach, deshalb heisst es auch vielleicht ( Glauben ) ???? Du hast in deinen Roman dieses Thema jedenfalls sehr gut gelöst - ?? und spannend bis zur letzten Seite. Danke Dir dafür und liebe Grüße Heike"
- Heike Jahn, 25.08.2022
 
"... ich habe dein Buch fertig gelesen und fand es interessant. Besonders alle Überdenkungen von Ralf und Bernd waren interessant. Auch die Geschichte war gut geschrieben und überaschend."
- Deborah Algra, 24.1.2021

"Sehr interessant und spannend zu lesen. Ein Thema das fasziniert. Super umgesetzt und unbedingt empfehlenswert - nicht nur weil die Hauptperson auch Martina heißt."
- Martina Mooren-Schneider, 25.11.2019

"Ganz großes Kompliment - ich fand es höchst unterhaltsam, spannend und wirklich interessant. Und die eingehende Unterhaltung der Hauptpersonen über die Art und Weise, wie Informationen aus früheren Leben bewahrt und weitergegeben werden könnten, sehe ich als einen der Höhepunkte des Romans an."
- Walter Haberl, 6.11.2018

"... Steigerung bis zu guter Spannung. Ein lesenswerter Roman. Glückwunsch."
- Peter Heilmann, Okt. 2018


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© Copyright by Reinhard Staubach - Aktualisiert: Freitag, 09-Aug-2024