Herr
Professor Wach, warum wird die Wiege der Menschheit
ständig auf einen anderen Kontinent gestellt?
Herr Schmidt-Kopf,
dass liegt doch auf der Hand. Immer wenn ein paar Knochen
oder sonstige Überreste menschlicher Siedlungen
gefunden werden, die älter sind als die bisherigen,
muss die Wiege umziehen, um bei diesem Bild zu bleiben.
Da kann das Baby darin schreien, so viel es will.
Es wird einfach
ausgeschüttet.
Werden Sie bitte
nicht albern, Herr Schmidt-Kopf. Außerdem steht
die Wiege nun schon einige Jahre im Süden Afrikas.
Von ständigem Umziehen kann also keine Rede sein.
Man ist sich in wissenschaftlichen Kreisen weitgehend
einig darüber, dass die Menschheit, wie wir sie
heute kennen, in Afrika ihren Anfang nahm.
Damit ließ sich
Herr Schmidt-Kopf nicht abspeisen. Die so genannten
wissenschaftlichen Kreise hatten bereits zu oft in den
letzten Tausend Jahren geirrt. Provozierend erwiderte
Herr Schmidt-Kopf: Eventuell stand die Wiege der
Menschheit in den USA.
Ich bitte Sie,
Professor Wach schaute ihn entrüstet an. Das
muss nun wirklich nicht sein. Die Amerikaner müssen
nicht alles haben. Wo kommen wir denn hin, wenn nun
auch noch der Garten Eden nach Amerika verlegt wird?
Ungehemmt warf Herr Schmidt-Kopf
seine Argumente ins Gespräch: Ich weiß,
während meiner Schulzeit, also vor ein paar Jahrzehnten,
war es noch klar: Die Wiege der Menschheit stand in
jenem Tal, wo Pastor Joachim Neander im 17. Jahrhundert
Gottesdienste abhielt, dem Neandertal. Dort fand man
1856 Skelettfragmente der Gattung Homo und nannte jenen
Frühmenschen Neandertaler. Angeblich sind dessen
Nachkommen ausgestorben. Doch beim Anblick und Verhalten
einiger Zeitgenossen können Zweifel keimen.
Archäologische Funde
in Europa, Asien und Afrika veranlassten die Forscher,
die Wiege der Menschheit immer mal wieder an einen neuen
Platz zu stellen. Seit einiger Zeit wird mit dem Brustton
der Überzeugung verkündet, dass sie im südöstlichen
Afrika stand und dass sich von dort die Menschen über
die ganze Erde ausgebreiteten. - Höchste Zeit,
diese Hypothese zu durchleuchten.
Und dazu fühlen
Sie sich berufen, Herr Schmidt-Kopf?
Berufen, ist zu
dick aufgetragen. Ich bin kein Archäologe oder
sonst ein wissenschaftlicher Forscher. Aber ich verfolge,
was zu Tage gefördert wird, und erlaube mir eigene
Gedanken. Die Meldung der Universität Tübingen*)
könnte bahnbrechend für den Ursprung der Menschheit
sein.
Forscher analysierten
menschliche Genome und waren überrascht, bei den
heutigen Europäern genetische Spuren einer Population
im Norden Eurasiens zu finden, die wiederum mit den
Ureinwohnern Amerikas genetisch verbunden sind.
Kenne ich, ein alter
Hut, versuchte Professor Wach Herrn Schmidt-Kopf
abzuwürgen. Vergleiche von Genmaterial der
Ureinwohner Amerikas und sibirischer Stämme offenbarten,
dass sie miteinander verwandt sind. Damit wurde erneut
belegt, wie die ersten Menschen nach Amerika kamen.
Nämlich von Asien über die Beringstraße,
denn dort hat es ja mal eine feste Landverbindung gegeben,
und falls nicht, ist es kein Problem gewesen, im Winter
über das Eis einen kleinen Wochenendtrip nach Amerika
zu machen. Möglicherweise verfolgte ein Steinzeitjäger
einen Hasen, der nach dem heutigen Alaska hoppelte.
An jener Meerenge gibt
es sogar Inseln, von denen aus sich Russen und Amerikaner
auch im Sommer ins Auge blicken können. Einigen
Ur-Touristen gefiel es offenbar so gut in Alaska, dass
sie dort blieben und weiter nach Süden vordrangen.
Aber halt! Wenn
die Menschen von Russland nach Alaska wandern konnten,
dann hätten sie doch auch von Alaska nach Russland
spazieren können. Die Beringstraße ist keine
Einbahnstraße. Herr Schmidt-Kopf lehnte
sich zufrieden zurück.
Ja, es könnte
sein, dass einige eiszeitlichen Jäger auch zurück
gingen, stimmte Professor Wach zu. Aber
die ursprüngliche Einwanderung verlief von Asien
nach Nordamerika. Dafür wurden viele Belege gefunden.
Die Einwanderungswelle konnte sogar recht genau datiert
werden, nämlich vor 12.000 Jahren.
Herr Schmidt-Kopf lächelte.
Offenbar hatte er noch ein Ass im Ärmel. Es
soll Zeitgenossen geben, die auf die Frage, wer Amerika
entdeckt habe, antworten: Kolumbus. Dabei steht in den
Berichten jenes Entdeckers, dass er bereits am ersten
Tage von Einheimischen begrüßt wurde, kaum
dass er einen Fuß an Land gesetzt hatte. Er war
also gar nicht der Erste in Amerika. Wann entdeckten
die Indios oder Indianer, wie sie meistens genannt werden,
Amerika?
Herr Schmidt-Kopf,
das sagte ich bereits, vor 12.000 Jahren. Hören
Sie nicht zu? Die Einwanderung ist unter dem Begriff
Clovis-Theorie bekannt.
Aber sicher höre
ich zu. Jene Einwanderungswelle hat offenbar stattgefunden.
Da bin ich Ihrer Meinung. Das beweist jedoch nicht,
dass vorher keine Menschen auf dem amerikanischen Kontinent
waren. Vielleicht waren die Vorfahren der Indios schon
immer da, oder wenigsten einige Volksgruppen, die dann
durch Zuwanderer frisches Blut erhielten. Was, wenn
die Wiege der Menschheit in Amerika steht und von dort
Jäger über die Beringstraße nach Asien,
Europa und Afrika wanderten?
Vielleicht hat man in
Amerika noch nicht gründlich nachgeschaut oder
gegraben und fand deshalb dort noch nicht den Wiegen-Platz.
Bei der Bezeichnung Amerika drängt sich
die Verallgemeinerung auf, die USA, die Vereinigten
Staaten von Amerika, seien gemeint. Darauf will ich
mich nicht beschränken. Es gibt schließlich
noch Mittel- und Südamerika.
Wenn die Tübinger
Forscher Erbgut der amerikanischen Ureinwohner bei den
modernen Europäern fanden, dann hatten sie Vorfahren,
die Büffel in der Prärie jagten. Und dann
kann man die Entdeckung des Gartens von Eden in den
USA nicht ausschließen. Eine Sensation, wenn das
biblische Eden dort gefunden würde.
Professor Wach wehrte
ab: Das ist Nonsens. Wollen Sie allen Ernstes
behaupten, Generationen von Wissenschaftlern hätten
geschlampt und sich geirrt?
Ich sage nicht,
dass sie sich geirrt haben. Aber es könnte doch
sein, dass, vom Stolz über den eigenen Erfolg beseelt,
voreilige Schlüsse gezogen wurden. Oder wollen
Sie behaupten, es sei bereits alles erforscht?
Professor Wach schwieg.
Ein passender Augenblick für Herrn Schmidt-Kopf,
neueste Forschungsergebnisse zu präsentieren.
Die brasilianische
Forscherin Niède Guidon stieß bereits in
den 80er Jahren auf Felsmalereien im heutigen brasilianischen
Nationalpark Serra da Capivara, die mindestens
30.000 Jahre alt waren. Als sie damit an die Öffentlichkeit
trat, wurde sie verspottet. Nicht von irgendwem, sondern
von den Vertretern der Theorie, dass Amerika vor 12.000
Jahren erstmals besiedelt wurde.
Neueste Messmethoden zur
Altersbestimmung von Ablagerungen wie Feuerstellenresten
belegen, dass jenes Gebiet im Nordosten Brasiliens bereits
vor 50.000 Jahren besiedelt war. Was sagen Sie nun,
Herr Professor?
Wo kann man das
nachlesen?
Googlen Sie einfach
Niède Guidon oder Serra da Capivara. Damit
wir uns nicht falsch verstehen, ich behaupte nicht,
dass die Wiege der Menschheit in Amerika stand. Ich
weise lediglich darauf hin, dass es möglich wäre.
Denn bekanntlich neigen Forscher dazu, letzte und allerletzte
Weisheiten zu verkünden, die gelegentlich als ausgewachsener
Mumpitz erster Güteklasse in Archiven verstauben,
falls er es bis dorthin schafft.
__________
*) Die genetische Herkunft der Europäer,
Pressemitteilung der Erhard Karls Universität Tübingen,
17.9.2014
...
Eine
Geschichte aus meinem Buch:
"Ermunterung ist steuerfrei und andere Geschichten".
Als
Taschenbuch und eBook im Handel.
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